Justiz im Dialog: „Juristisch sauber“ zu arbeiten reicht nicht

Hamm. Zum Auftakt der bundesweiten Reihe „Justiz im Dialog“ in 2019 hatte der Bund der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen eingeladen. „Unschuldig verurteilt oder schuldig freigesprochen – wie gehen die Bürger, die Presse und die Justiz mit der Unschuldsvermutung um?“ war das Thema der Podiumsdiskussion, zu der der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm, Johannes Keders, die rund 100 Gäste begrüßte.

Nach einem Grußwort des Staatssekretärs der Justiz des Landes NRW, Dirk Wedel, führte Christian Friehoff, Vorsitzender des DRB NRW, in das Thema ein. Anschließend diskutierten Elisabeth Auchter-Mainz, Opferschutz-Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Frank Schneider, Bild Chefreporter NRW, Horst Leis, Vorsitzender des Deutschen Anwaltvereins NRW, sowie Friehoff unter der Leitung der rista-Chefredakteurin Nadine Rheker über den Umgang der Justiz mit der Unschuldsvermutung.

Umgang mit der Unschuldsvermutung

Leis führte an, dass die Unschuldsvermutung nach seiner Anschauung von der Justiz im Wesentlichen geachtet werde. Gerade bei komplexen Sachverhalten müsse die Verteidigung jedoch immer wieder durch das Stellen von Anträgen auf die Hinterfragung vermeintlich gesicherter Erkenntnisse hinwirken.

Friehoff legte dar, dass die strafgerichtliche Beweisaufnahme letztlich ein prozesshafter Vorgang sei, dem eine Arbeitshypothese zugrunde liege. Vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung müsse in der laufenden Beweisaufnahme immer wieder Zwischenbilanz gezogen werden, um die Fehlerquote gering zu halten. Wenn es Anhaltspunkte gibt, dass es auch anders gewesen sein könnte, werde diesen nachgegangen. Das sei die ihm bekannte überwiegende Rechtspraxis.

Opfersicht

Auchter-Mainz pflichtete dem bei. Aus Opfersicht laufe im Strafverfahren vieles jedoch nicht so gut. Das sei oft eine Frage mangelnder Kommunikation. Den Tatopfern müsse der Verfahrensablauf und dessen Prinzipien erklärt werden. Hierzu zähle auch die Unschuldsvermutung. Auchter-Mainz nutzte die Gelegenheit, das aus ihrer Sicht äußerst sinnvolle Institut der psychosozialen Prozessbegleitung vorzustellen und zu bewerben.

Nach Auffassung von Schneider funktioniere der Rechtsstaat gut und die Justiz bemühe sich in den letzten Jahren zudem um mehr Transparenz; das sei wichtig, da aus seiner Sicht das Vertrauen der Bürger in die Justiz sinke. Daran habe auch die Presse ihren Anteil, weil sie nicht berichte, wenn etwas gut laufe.

(Ver)öffentlich(t)e Meinung

Im zweiten Teil der Diskussion wurde der Umgang der (ver)öffentlich(t)en Meinung mit der Unschuldsvermutung in den Blick genommen.

Schneider wies darauf hin, dass die Redaktionen ständig durch eine große Rechtsabteilung beraten würden. Man arbeite juristisch sauber, Rügen durch den Presserat seien selten geworden. Verdachtsberichterstattung spiele jedoch bei besonders schwerwiegenden Taten oder solchen von besonderem öffentlichen Interesse eine große Rolle. Dabei sei ihm durchaus bewusst, dass dies im Falle eines späteren Freispruchs massive Konsequenzen für den Tatverdächtigen haben könne.

Hier wurde intensiv und kontrovers über Sinn und Statthaftigkeit einer solchen Verdachtsberichterstattung, etwa durch unverpixelte Darstellung von Verdächtigen in den Medien, diskutiert.

„Juristisch sauber“ zu arbeiten reicht nicht 

Friehoff brachte zum Ausdruck, dass es hier mehr brauche, als pressemäßig nur juristisch sauber zu arbeiten. Auch die Wirkung der Berichterstattung auf das Verfahren als solches und seine Beteiligten, einschließlich der Tatopfer, müsse im Auge behalten werden. Leis bescheinigte der Presse hier oft fehlende Sensibilität.

Dagegen verwies Schneider auf eine veränderte Medienwahrnehmung. Die Bedeutung visueller Medien nehme zu, reiner Text trete dahinter zurück. Auch wollten viele Opfer als Teil der Geschehensbewältigung eine solche Berichterstattung. Auchter-Mainz hielt dem entgegen, dass teilweise auch das Gegenteil der Fall sei. Ständige, oft jahrelange Berichterstattung könne das Abschließen mit der Tat für die Opfer erheblich erschweren.

Nach einer Schlussrunde zog der Vorsitzende des DRB Jens Gnisa sein Fazit: Es sei klar geworden, dass die Unschuldsvermutung keine bloße Beweislastregel sei, sondern den ganzen Prozess durchziehe. Das Offensichtliche sei nicht immer das Richtige. Im Strafprozess sei die Schuld die Arbeitshypothese, deren Gegengewicht die Unschuldsvermutung darstelle. Die Unschuldsvermutung müsse hierbei den Tatopfern übersetzt und erklärt werden, um die Entscheidungsfindung und das Urteil transparent zu machen. Dies sei nicht alleine Sache der Justiz, sondern auch der Anwaltschaft und der Medien.

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Bild von Matthias Schröter Matthias Schröter Pressesprecher
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