Justiz wird beim Einkommen abgehängt

Richter und Staatsanwälte verlieren im Gehaltsvergleich mit Juristen in Unternehmen und großen Anwaltskanzleien immer mehr den Anschluss. Die durchschnittlichen Gehälter junger Anwälte in Großkanzleien sind heute weit mehr als doppelt so hoch wie die Jahresbezüge junger Justizjuristen.

Nach einer Studie der Kienbaum Consultants International GmbH aus dem Jahr 2023 im Auftrag des Deutschen Richterbundes (DRB) haben sich die Gehälter von juristischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Privatwirtschaft und in Kanzleien in den vergangenen Jahren noch weiter von den Einkommen der Berufseinsteiger in der Justiz entfernt als bei der letzten Bestandsaufnahme Kienbaums vom Dezember 2017. Wer heute als ledige Richterin oder als Staatsanwalt in den Beruf einsteigt, erhält im bundesweiten Durchschnitt nach einigen Jahren Berufserfahrung rund 60.000 Euro brutto im Jahr. Vergleichbar qualifizierte Prädikatsjuristen in einem Unternehmen verdienen inzwischen nach den Zahlen Kienbaums im Mittelwert knapp 100.000 Euro jährlich, während Anwälte in einer Großkanzlei auf der ersten Karrierestufe im Schnitt sogar 139.000 Euro pro Jahr erhalten. Der langfristige Vergleich verdeutlicht die ganze Dramatik der Entwicklung: Verdienten junge Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte 1992 noch rund 10.000 Euro weniger im Jahr als vergleichbare Juristinnen und Juristen in Unternehmen, beträgt die Differenz heute rund 40.000 Euro. Hinkten die Einstiegsgehälter der Justizjuristen vor 30 Jahren knapp 30.000 Euro hinter den Einkünften zu Beginn der Laufbahn in Großkanzleien her, ist der Gehaltsvorsprung der Anwälte heute auf rund 80.000 Euro pro Jahr gewachsen.

Gehaltsschere öffnet sich immer weiter

Die Schere öffnet sich im weiteren Berufsleben dann sogar noch weiter, da die Gehälter bei Anwälten und Unternehmensjuristen mit zunehmender Erfahrung und Verantwortung schneller steigen als bei Richtern und Staatsanwälten. So verdienen juristische Führungskräfte der ersten Ebene heute in Unternehmen nach den Kienbaum-Zahlen im Mittelwert 201.000 Euro jährlich, 27.000 Euro mehr als fünf Jahre zuvor. Im 15-Jahres-Vergleich haben sich die durchschnittlichen Bezüge dieser Beschäftigtengruppe um 71.000 Euro erhöht. Ein Seniorpartner in großen Anwaltskanzleien kommt im Mittelwert inzwischen sogar auf 385.000 Euro, ein Plus von 57.000 Euro im Fünf-Jahres-Vergleich und beinahe eine Verdopplung der Bezüge im Vergleich zu 2007.

Das Einkommen einer Richterin oder eines Richters in der Besoldungsgruppe R2, Endstufe, liegt selbst mit Zuschlägen für 2 Kinder weit unter den Vergütungen in Unternehmen und Kanzleien. Der Justizjurist mit langjähriger Berufserfahrung verdient etwa die Hälfte einer juristischen Führungskraft in Unternehmen und kaum mehr als ein Viertel des mittleren Einkommens eines Seniorpartners in großen Anwaltskanzleien. Den starken Anstieg der Vergütungen im Anwaltsbereich führt Kienbaum unter anderem darauf zurück, dass weitere angloamerikanische Kanzleien auf den deutschen Markt vorgedrungen sind und sich der Wettbewerb um Topjuristinnen und -juristen damit nochmals verschärft hat.

Alimentationsgrundsatzklage gegen „Besoldungsdumping“

Eine neuartige Alimentationsgrundsatzklage könnte die verfassungsrechtlich gebotene Besoldung für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte künftig schneller und effektiver durchsetzen. Das schlagen der Deutsche Richterbund und der Bund Deutscher Verwaltungsrichter vor. Nach dem Gesetzentwurf, der im Austausch mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Beamtenbund und dem Bundeswehrverband erarbeitet worden ist, sollen die Spitzenverbände der Beamten, der Richter und der Soldaten für ihre Berufsgruppe eine Alimentationsgrundsatzklage vor dem Oberverwaltungsgericht erheben können. Auf diese Weise ließen sich die Grundsatzfragen einer amtsangemessenen Alimentation zeitnah allgemein verbindlich klären und das Bundesverfassungsgericht von Besoldungsklagen entlasten. Die aktuelle Rechtslage ist für die Betroffenen nicht befriedigend. Bislang muss jeder Beamte, Richter oder Soldat für jedes Jahr einzeln und auf eigenes finanzielles Risiko durch alle Instanzen klagen. Bis zu einer abschließenden Entscheidung kann es mitunter zehn oder mehr Jahre dauern. Erstreiten die Staatsbediensteten Nachzahlungen, werden die Beträge trotz des häufig extremen zeitlichen Verzugs nicht verzinst, sondern durch die Inflation entwertet. Ein Urteil kommt zudem nur dem jeweiligen Kläger und denjenigen direkt zugute, die ebenfalls Widerspruch oder Klage erhoben hatten. Jahr für Jahr überrollen deshalb Tausende Widersprüche und Klagen gegen Besoldungsregelungen die Länder.

Mehr Pensionäre, aber weniger Nachwuchs

Angesichts der zunehmenden Entkopplung der Besoldung in der Justiz von der Bezahlung in Unternehmen und Kanzleien dürfte es in den kommenden Jahren nicht leichter werden, Prä­dikatsjuristen für eine Laufbahn im Staatsdienst zu gewinnen. Dabei braucht die Justiz gerade jetzt verstärkt Nachwuchs, weil bis 2030 eine große Pensionierungswelle auf Gerichte und Staatsanwaltschaften zurollt. Nach einer Studie des Richterbundes zur Zukunftsfähigkeit der Justiz gilt es, in dieser Dekade in den fünf ostdeutschen Ländern mehr als die Hälfte aller Juristinnen und Juristen in Gerichten und Staatsanwaltschaften zu ersetzen. Hilfe aus den westdeutschen Bundesländern ist indes kaum zu erwarten, denn auch dort steigt die Zahl der Pensionäre, die zu ersetzen sind. Die steigende Zahl der Ruheständler fällt in eine Zeit, in der weniger Volljuristen als noch vor 10 oder 15 Jahren auf den Arbeitsmarkt drängen. Legten nach den Statistiken des Bundesamtes für Justiz im Jahr 2005 etwa 9400 Absolventen erfolgreich das zweite Staatsexamen ab, fiel die Zahl im Jahr 2010 auf rund 8350 und lag 2020 nur noch bei etwa 7800. Der Kreis der Volljuristen, aus dem die Justiz möglichst die besten Kandidaten für sich gewinnen will, hat sich im 15-Jahres-Vergleich also um 17 Prozent verengt. Immerhin zeichnet sich inzwischen eine Trendwende ab, nachdem die Absolventenzahlen im Jahr 2015 mit weniger als 7500 bestandenen Examen ihren Tiefststand erreicht hatten.

Die Studie zu den Juristeneinkommen belegt in aller Deutlichkeit, dass der Staat mit seinen Einstiegsgehältern immer weniger konkurrenzfähig ist. Zumal auch zwischen den Ländern eine tiefe Kluft aufgerissen ist. So verdient Stand Januar 2025 ein lediger Berufseinsteiger in Hessen 5389 Euro brutto monatlich - 861 Euro mehr Gehalt als ein Berufsanfänger im Saarland erhält. Neben dem Saarland bilden Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen die Schlusslichter bei der Besoldung junger Richter und Staatsanwältinnen. Im weiteren Berufsleben werden die Gehaltsunterschiede zwischen den Ländern noch größer. So beträgt beispielsweise die R1-Besoldung nach zehn Jahren Berufserfahrung für eine verheiratete Richterin oder Richter mit zwei Kindern in Hessen 7252 Euro brutto im Monat, während es im Saarland mit 5794 Euro fast 1460 Euro weniger sind. Bei der R2-Besoldung bei gleichem Familienstatus im zwanzigsten Berufsjahr beträgt die Differenz in der Spitze sogar mehr als 1700 Euro.

Handlungsdruck in der Besoldungspolitik wächst

Auch die Europäische Kommission hat inzwischen den Druck auf Bund und Länder erhöht. In ihrem Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in der EU in 2024 mahnt sie zum wiederholten Male, die Bezüge der Richterinnen und Staatsanwälte in Deutschland angemessen und den europäischen Standards gemäß auszugestalten. Die Besoldung sei hierzulande im Vergleich zum Durchschnittseinkommen eine der niedrigsten in Europa. Die aktuelle Kienbaum-Studie im Auftrag des DRB unterstreicht den Handlungsbedarf eindrucksvoll.

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Bild von Matthias Schröter Matthias Schröter Pressesprecher
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