Menschenrechtspreisträger des Deutschen Richterbundes bewegen die Welt

Berlin. Die venezolanische Richterin Maria Lourdes Afiuni ist beim 23. Richter- und Staatsanwaltstag in Weimar mit dem Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes (DRB) ausgezeichnet worden. Es ist das 14. Mal, dass der Preis an eine Persönlichkeit verliehen wurde, die unter Einsatz ihres Lebens, ihrer Gesundheit, ihrer persönlichen Freiheit und unter Inkaufnahme sonstiger schwerer persönlicher Nachteile für die Wahrung und Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien eintritt.

 

Die Menschenrechtspreisträger sind aktiv im Namen des Rechts: So hat der syrische Rechtsanwalt Anwar al-Bunni, der seit 2009 Träger des DRB-Menschenrechtspreises ist, seinen Anteil am weltweit ersten Prozess gegen mutmaßliche Handlanger des syrischen Regimes. Von Deutschland aus arbeitet er Menschenrechtsverbrechen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad auf. Mit seinen Recherchen hat er beispielsweise zu den Ermittlungen beigetragen, auf denen der Prozess gegen die zwei mutmaßlichen syrischen Ex-Geheimdienstfunktionäre wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit vor dem Oberlandesgericht in Koblenz fußte. Das Urteil gegen den ehemaligen Vernehmungschef in einem syrischen Geheimdienst-Gefängnis Anwar R. in Deutschland war möglich, weil das Weltrechtsprinzip gilt: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen können verfolgt werden, obwohl diese im Ausland und an Ausländern verübt wurden. So könnten deutsche Richter und Staatsanwälte nach Ansicht von al-Bunni dazu beitragen, „das Leben von Hunderttausenden Menschen in der Welt zu retten“.

Hoffnung auf eine Übergangsjustiz

Al-Bunni selbst saß fünf Jahre wegen Kritik am syrischen Staat im Gefängnis – so auch während der Verleihung des DRB-Menschenrechtspreises im Jahr 2009. Er hat sich trotz Einschüchterungen und Diffamierungen für die Einhaltung der Menschenrechte in Syrien eingesetzt, verteidigte Dissidenten und Bürgerrechtler vor Gericht. Auch al-Bunni wurde vom syrischen Geheimdienst bedroht. Erst nachdem der Druck zu stark wurde, flüchtete er 2014 mit seiner Familie nach Deutschland und lebt seitdem mit seiner Frau und seinen Kindern in Berlin.

Die Menschen in Syrien erleben seit 2011 einen blutigen Bürgerkrieg mit mindestens 500.000 Toten. Nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen sind mehr als 200.000 Frauen und Männer in den Gefängnissen des syrischen Geheimdienstes inhaftiert. Sie werden dort erniedrigt, vergewaltigt und gefoltert. Mazen Darwish und al-Bunni haben beim Generalbundesanwalt deshalb weitere Strafanzeigen gegen hochrangige Mitarbeiter des Geheimdienstes gestellt – in der Hoffnung, dass auch sie für die Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden können. Für seine Arbeit ist al-Bunni 2018 mit dem deutsch-französischen Preis für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ausgezeichnet worden. Für die Zukunft Syriens setzt er auf eine Übergangsjustiz.

Als Korruptionsjäger verjagt

International viel Beachtung hat auch der ehemalige kolumbianische Richter Iván Velásquez erfahren, den der Deutsche Richterbund 2012 mit dem Menschenrechtspreis des Verbandes ausgezeichnet hat. Er erhielt die Auszeichnung für seinen mutigen Einsatz für die Menschenrechte besonders während seiner Tätigkeit als Ermittlungsrichter am Obersten Gerichtshof der Republik Kolumbien. Er war maßgeblich verantwortlich für die juristische Aufarbeitung der kriminellen Verbindungen hoher Amtsträger und Politiker zu paramilitärischen Gruppen. Seine Untersuchungen führten zur Verurteilung von fast 50 früheren Mitgliedern des Kongresses. „Dieser Preis kann nur als Anerkennung für die vielen herausragenden Persönlichkeiten in meinem Heimatland verstanden werden: Richter, Anwälte, Justizangestellte, die sich mit ihrem Leben für die Wahrung der Menschenrechte und für die Aufklärung von Unrecht eingesetzt haben“, sagte Iván Velásquez damals in seiner Dankesrede.

Velásquez war auch für die Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) im Einsatz. Seine Erfolge haben der Justiz in Guatemala Glaubwürdigkeit zurückgebracht. Doch als er gegen Präsident Jimmy Morales ermittelte, wendete sich das Blatt und Morales drängte die UN-Ermittler aus dem Land. 2018 wurde Velásquez mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Gemeinsam mit der Juristin Thelma Aldana, die bis zum Frühjahr 2018 Generalstaatsanwältin in Guatemala war, erhielt er den undotierten Ehrenpreis für die Ermittlungen gegen den ehemaligen Präsidenten Otto Perez Molina. Bei einem Deutschlandbesuch 2019 hob Velásquez die Bedeutung der Staatsanwälte und Richter im Kampf gegen autoritäre und autokratische Regime hervor: „Der Kampf für Demokratie hängt immer von der Stärke und Unabhängigkeit der Justiz ab.“ Heute lebt Velásquez wieder in Bogotá und ist seit August 2022 Verteidigungsminister seines Landes.

Nasser Zarafshan verteidigt Berlinale-Regisseur

Der Name eines weiteren DRB-Menschenrechtspreisträgers machte 2020 Schlagzeilen. Der Anwalt Nasser Zarafshan, DRB-Menschenrechtspreis von 2007, verteidigt den iranischen Regisseur Mohammad Rasoulof, der auf der Berlinale 2020 den Goldenen Bären gewonnen hat. Der Iran wirft Rasoulof Propaganda gegen das System vor.

Seine Landsfrau Nasrin Sotudeh wurde 2020 in Abwesenheit mit dem DRB-Menschenrechtspreis geehrt. Im Juni 2018 war sie im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Anwältin verhaftet und nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) zu mehr als 30 Jahren Haft sowie 148 Peitschenhieben verurteilt worden. Zunächst war die Menschenrechtlerin im berüchtigten Evin-Gefängnis inhaftiert, wo sie zwischen August und September 2020 in einen fast 50 Tage dauernden Hungerstreik trat, um auf die schlimmen Zustände in iranischen Gefängnissen während der Corona-Pandemie aufmerksam zu machen. Doch während der Iran zahlreiche Inhaftierte während der Pandemie entließ, blieben Sotudeh und andere politische Gefangene hinter Gittern. Der Hungerstreik hat Sotudehs Verfassung massiv beeinträchtigt. Ihr Gesundheitszustand war lebensbedrohlich, weshalb der Deutsche Richterbund an die Verantwortlichen im Iran appellierte, die Rechtsanwältin umgehend zu entlassen, damit sie medizinisch versorgt werden kann. Nachrichten, wonach sie zumindest vorübergehend aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen worden ist, gaben Hoffnung.

Unermüdlicher Kampf

Sotudeh gehört weltweit zu den bekanntesten iranischen Menschenrechtsverteidigern. Sie hat unter anderem Schirin Ebadi verteidigt, die 2003 den Friedensnobelpreis erhielt. Zuletzt setzte sich Sotudeh für Frauen ein, die gegen das Kopftuchgebot protestierten. Bereits 2010 wurde sie zu elf Jahren Gefängnis wegen angeblicher Propaganda gegen das System verurteilt, kam nach internationalen Protesten 2013 aber frei. Doch auch nach ihrer erneuten Verhaftung 2018 kämpft Sotudeh unermüdlich weiter, um auf die prekären Bedingungen politischer Gefangener und die systematischen und weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen im Iran aufmerksam zu machen.

Die mit dem DRB-Menschenrechtspreis 2023 ausgezeichnete venezolanische Richterin Maria Lourdes Afiuni nahm ihre Auszeichnung entgegen stellvertretend „für all die Stimmen, die nicht gehört worden war, für all die Gesichter, die nicht gesehen wurden, für all diejenigen, die diese Welt verlassen haben, ohne die Wiederherstellung ihrer Rechte erleben zu können.“ Als Richterin eines Strafgerichts (Control Court of Caracas) wurde sie im Dezember 2009 verhaftet. Ihr wurde zur Last gelegt, einen inhaftierten Geschäftsmann, dem Finanzstraftaten vorgeworfen wurden und dessen Untersuchungshaft bereits deutlich die zulässige Höchstdauer von zwei Jahren überschritten hatte, zu einer überwachten Bewährung gegen Kaution aus der Haft entlassen zu haben. Eine UN-Arbeitsgruppe hatte zuvor festgestellt, dass eine willkürliche Inhaftierung vorlag. Nach der Flucht des Mannes ins Ausland forderte der damalige Präsident Hugo Chávez in landesweit ausgestrahlten Live-Sendungen eine Freiheitsstrafe von 30 Jahren für die Richterin; von Simón Bolívar wäre die „Banditin mit dem Schwert erschlagen“ worden.

Mission noch nicht beendet

Afiuni blieb – ohne Haftbefehl – mehr als ein Jahr im berüchtigten Frauengefängnis INOF hinter Gittern. Schließlich wurde sie wegen „Korruption, Amtsmissbrauch, Fluchthilfe und Vereinigung zur Begehung von Straftaten“ angeklagt und wegen „spiritueller Korruption“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Gerichtsverfahren, das zahlreiche elementare Rechtsgrundsätze verletzte, dauerte insgesamt zehn Jahre und endete erst 2019. Im Gefängnis wurde sie körperlich und psychisch misshandelt, war Morddrohungen ausgesetzt und ihr Leben war ernsthaft gefährdet. Während ihrer Genesung nach einer Notoperation wegen einer Krebserkrankung wurde sie 2011 unter Hausarrest gestellt und im Juni 2013 unter Auflagen auf Bewährung entlassen. Es ist ihr weiterhin untersagt, einen Beruf auszuüben, das Land zu verlassen, ihr Bankkonto und soziale Netzwerke zu nutzen. Trotz des hohen Preises der Freiheit und der Menschenrechte ist für Afiuni die Mission, für menschliche Werte zu kämpfen, noch nicht beendet.

Das gilt auch für den vietnamesischen Rechtsanwalt Nguyen Van Dai, dem der DRB im Jahr 2017 in Abwesenheit den DRB-Menschenrechtspreis verliehen hat. Er versucht, von Deutschland aus seine Landsleute in Vietnam zu unterstützen. Mit Hilfe der sozialen Medien prangert er Menschenrechtsverletzungen des Kommunistischen Regimes an. Dai wurde im April 2018 in Hanoi mit fünf weiteren Bürgerrechtlern zu langjährigen Haftstrafen zwischen 7 und 15 Jahren verurteilt, bevor er kurz darauf überraschend aus Vietnam ausreisen durfte.

Als Zwanzigjähriger ging der damalige Elektrotechniker 1989 in die DDR und erlebte dort den Mauerfall und die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands. Diese Ereignisse haben ihn entscheidend geprägt. 1990 kehrte Dai nach Vietnam zurück, studierte Jura und arbeitete anschließend als Rechtsanwalt in Hanoi. Er setzte sich für verfolgte Christen ein und gab kostenlose Rechtsberatung für religiöse Gemeinschaften, Dissidenten, politische Gruppen und unabhängige Gewerkschafter. Bereits 2007 wurde er wegen „anti-sozialistischer Propaganda“ verurteilt und verbrachte mehrere Jahre in Haft sowie anschließend in Hausarrest. Die Verleihung des Menschenrechtspreises 2017 war für ihn eine wichtige Weichenstellung: „Der Menschenrechtspreis trug zum Druck auf die kommunistische Regierung in Vietnam bei, mich vorzeitig freizulassen.“

Allgemeine Menschenrechte und Grundfreiheiten weltweit stärken

Der Richterbund wählt regelmäßig weltweit herausragende Persönlichkeiten aus, die sich für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Damit will der Verband einen Beitrag leisten, um die allgemeinen Menschenrechte und Grundfreiheiten zu schützen und zu stärken. Ausgezeichnet werden Persönlichkeiten oder Organisationen aus der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft oder der Rechtsanwaltschaft, die sich unter Einsatz von Leben, Gesundheit, persönlicher Freiheit oder unter Inkaufnahme sonstiger schwerer persönlicher Nachteile für die Wahrung und Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien einsetzen.

Ansprechpartner

Bild von Matthias Schröter Matthias Schröter Pressesprecher
Telefon030 / 206125-12 Fax 030/ 206125-25 E-Mail schroeter@drb.de